Warum "Song" statt Lied ...


... und “Songwriter” statt “Liedermacher” ...

nebst einem kleinen historischen Überblick

Fest steht, dass der Begriff "Lied" im Deutschen nicht ausreicht. Schon früh unterschied man "Volkslied" und "Kunstlied". Lieder in Opern heißen "Arien", Lieder mit hohem textlichen Anspruch "Chansons". Daher bevorzugen wir als Oberbegriff "Song".

"Liedermacher" meint in der Regel eine Generation von Sängern-und-Liederschreibern, die sich in Westdeutschland zuerst in den Waldeck-Festivals organisierten (etwa Degenhardt, Wader, Mey) und in der DDR (stets im Schatten des überragenden Wolf Biermann) z.B. im "Oktoberklub".

Doch auch diese waren natürlich nicht der Anfang. Lange vorher gab es in Deutschland singende Autor-Komponisten wie Frank Wedekind oder Otto Reutter, an die niemand denkt, wenn von "Liedermachern" die Rede ist. Und es gab und gibt die reiche Tradition des literarischen Kabarett-Chansons (wo Texter, Komponist und Interpret in der Regel unterschiedliche Personen sind). Daher bevorzugen wir - auch deshalb, weil heute der Rhythmus (mit oder ohne Schlagzeugbegleitung) in der Regel eine entscheidende Rolle spielt - die englischen Begriffe "Songwriter" und "Songwriting".

Allerdings verstehen wir sie in einem umfassenden Sinn. Zu den Vorbildern des Songwriting gehören nicht nur Rock- und Popsongs, sondern auch die sogenannten “Volkslieder” (z.B. “O du fröhliche”, dessen Anfangsteil fast identisch ist mit dem von “We shall overcome”), Große Songwriter waren und sind nicht nur Autor-Komponisten wie Woody Guthrie, Irving Berlin, Bob Dylan, Atahualpa Yupanqui, Bulat Okudshawa, Wolf Biermann, oder Beatles, Stones, ABBA. Dazu gehören selbstverständlich auch Chansonniers wie Charles Trenet, Georges Brassens, Jaques Brel. Große Vertreter des Songwriting waren und sind neben Musical-Autoren wie  Cole Porter, Rodgers/Hammerstein, Andrew Lloyd Webber auch Operettenkomponisten wie Jacques Offenbach, Johann Strauß oder Franz Lehar.  Auch die Lieder Franz Schuberts sind ebenso Teil dieser Tradition wie die Opernarien von von Mozart, Verdi, Puccini (und trotz seiner schauderhaften Texte auch die von Richard Wagner). Sie alle sind Vorbilder, von denen wir heute noch lernen können - was wir in der Songwriter-Werkstatt auch versuchen werden.

Eines der amerikanischen Songwriting-Bücher (“The Complete Singer-Songwriter”) hat als Untertitel: “A Troubadour’s Guide to Writing, Performing, Recording & Business”. Ohne dass im Buch davon die Rede ist, erinnert dieser Titel mit Recht daran, dass die Geschichte des Songwriting noch weitaus älter ist als die von Musical, Operette, Oper  und Oratorium. Die französischen Troubadoure waren ebenso wie die deutschen Minnesänger frühe Singer-Songwriter, und zwar teilweise von höchstem Niveau - siehe die “Elegie” des Walther von der Vogelweide.
Doch auch das war längst nicht der Anfang. Auch die Psalmen des Alten Testaments sind grandiose Gesänge, und deren größter - das “Hohelied des (angeblich) Salomo” - bringt das schon im Titel unübersehbar zum Ausdruck. König David war nicht nur ein großer Singer-Songwriter, sondern daneben auch ein Schürzenjäger von Format, der seine Groupies nicht weniger beeindruckte als später Mick Jagger.
Offenbar war und ist das Schreiben, Komponieren und Singen selbstgeschaffener Lieder seit den Anfängen der Menschheit eine grundlegende Kulturtechnik. Vermutlich war es sogar die erste Kunstform überhaupt. Denn zum Zeichnen brauchte man Stift, Farbe, Untergrund, fürs Drama ein Theater, für lange Erzähltexte die Schrift. Ein Lied brauchte nie mehr als ein paar Worte, eine gesummte Melodie und die eigene Stimme.

Wir Songwriter machen also nichts Besonderes, sondern das Normalste von der Welt, wenn wir Ideen, Textzeilen und Melodien festhalten und daraus Songs machen. Neu sind lediglich einige Instrumente und Techniken, die uns heute zur Verfügung stehen. Ansonsten ist das, was wir machen, nichts anderes als es in einem spanischen Volkslied zum Ausdruck kommt:
“No creas que porque canto tengo el corazon alegre - soy como el pajarillo que si no canta se muere”. (“Glaube nicht, weil ich singe, ist mein Herz fröhlich - es geht mir wie dem Vogel, der stirbt, wenn er nicht singt.”)

 

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